Newsletter vom 23. August 2017: Mount St. Helens, farbige Berge am "Journey Trugh Time"-Highway und eine totale Sonnenfinsternis 
Überall wo es  etwas abgelegener wird, vornehmlich in den bewaldeten Gebirgen Nordamerikas  beginnt Bigfoot County. Bigfoot kennt hier jedes Kind. Er  ist das Schönwetter-Pendant  zum Yeti und wird mindestens so oft gesichtet wie Nessie. Big Food hat eine  riesige Fangemeinde, auch unter den Erwachsenen und sogar mancher  Wissenschaftler behauptet, dass dieser Mythos real sei. Auf jeden Fall ist er  dekorativ: da steht eine grosse Figur vor der Haustür, dort zieren riesige  Fussabdrücke einen Scheunenwand und immer wieder heisst es: Sie betreten jetzt  Bigfoot Land. 
Wir liessen  Portland links liegen und steuerten den Silver Lake westlich des Mt. St. Helens  National Volcanic Monument im Staate Washington an.  
  Der Mount St.  Helens brach im Jahr 1980 auf eine äusserst spektakuläre Weise aus. Die damals  gemachten Filmaufnahmen dokumentieren, wie kurz vor dem Ausbruch riesige Teile  der nördlichen Bergflanke zu Tal rutschten - ein Anblick, bei dem man seinen  Augen kaum traut. Der nur Sekunden später stattfinde Ausbruch sprengte die  gesamte Kuppe des Berges weg, so dass er heute rund 300 Meter weniger hoch ist  als vor seinem Ausbruch.  
  Dank der  Tatsache, dass sich der Ausbruch schon ein paar Tage zum Voraus durch starke  Erdbeben ankündigte, kamen damals nur ein paar Dutzend Menschen ums Leben. Und  das in einem Gebiet, in dem sich normalerweise über tausend Leute - Bewohner  und Touristen -  aufhalten. 
  Heute sieht man  vom Johnston Ridge Observatorium aus durch die weggesprengte Kuppe in den  Krater - es sieht aus wie ein riesiger Backenzahn ohne Füllung. Eindrücklich  sind vor allem diejenigen Gebiete, die nicht wieder aufgeforstet wurden. Hier  sieht man immer noch, wie die pyroklastischen Ströme und die anschliessenden  Schlammlawinen alles zerstörten und mitrissen. Das Tal an der nördlichen Flanke  wurde Hunderte Meter hoch mit Asche und Schlamm aufgefüllt. Doch das  Schmelzwasser hat sich in den letzten fast 40 Jahren wieder seinen Weg gebahnt  und neue Schluchten und Täler geformt. Und durch das Verschütten von  bestehenden Flussläufen entstanden neue Seen wie der Cold Water Lake. 
  Auf dem  Campground am Silver Lake blieben wir drei Nächte und werden sicher wieder  hierher zurückkommen. Jeder Stellplatz hat direkten Zugang zu einem Seitenarm  des Sees oder einer Lagune, man kann Boote mieten und direkt vor seinem Camper  anlegen und es hat viel Platz - ein wunderschöner Platz. 
Dann ging es via  Portland, wiederum ohne die Stadt besucht zu haben, in die Columbia River Gorge.  Eigentlich wäre diese Schlucht mit dem breiten Strom und den faszinierenden,  wunderschönen Felsformationen, schroffen Klippen und hohen Wasserfällen einen längeren  Aufenthalt wert. Und eigentlich wäre dieses Naturwunder schützenswert. Aber auf  beiden Seiten des Stromes fliesst nochmal ein gewaltiger Strom - derjenige der  vielen Autos auf den oft vierspurigen Autobahnen. Aber am schlimmsten ist der  Zug, der auf beiden Seiten zu jeder Tages- und Nachtzeit fährt und vor jedem Übergang  die ohrenbetäubenden Sirenen ertönen lässt. Hier zu campen ist keine gute Idee.  Nach einer Nacht im Deschutes State Park drehten wir deshalb bei Biggs Junction  ab und fuhren Richtung Süden. 
Die Highways auf  denen wir zuerst nach Süden und dann nach Osten fuhren (via Antelope, Fossil,  Service Creek und Mitchell) werden "Journey through time" (Reise  durch die Zeit) Scenic Byway genannt.  
  In der Nähe des  Columbia Rivers stehen grosse Windfarmen, auf den Ebenen wird Korn angebaut, ab  und zu sahen wir ein paar Rinder (oder Rehe) oder ein Gehöft. Ansonsten ist  dort Klapperschlangen-Land. Am Anfang begleitete uns noch der schneebedeckte  Gipfel des Mount Hood in der Ferne, dann nur noch gelbe, heisse Prärie. 
  Wir passierten  mehrere Living Ghost Towns ("lebende Geister-Städte"), die Cafés,  Geschäfte und Tankstellen an der Hauptstrasse sind schon lange geschlossen und  am zerfallen, aber in der zweiten Reihe sind einige wenige Häuser noch bewohnt.  Uralte Lastwagen, Autos und Traktoren rosten auf den Höfen vor sich hin, die  Meisten schon lange, lange ausser Betrieb.  
  In Fossil fanden  wir eine der wenigen Tankstellen in der Gegend und tankten nochmal voll (wir  wussten ja nicht genau, wo sich die Nächste befindet... 
Mit der  "Reise durch die Zeit" ist nicht nur die Geschichte der Gegend, die  Besiedelung durch die Weissen und die Zeit der boomenden Goldgräberstädte  gemeint, sondern auch die "Besiedelung" durch Tiere und Pflanze vor  Millionen von Jahren. Deren Spuren wurden in den Lahars (Schlammlawinen)  gewaltiger Vulkanausbrüche konserviert und durch Wind und Wasser im Laufe der  Zeit wieder freigegeben. Es gibt in dieser Gegend drei grosse, prähistorische  Fundstellen. Eine davon sind die traumhaften Painted Hills. Sanft geformte Hügel,  geschichtet in den phantastischsten Farben. Jede Schicht zeugt von einer  anderen Vegetationsperiode während der vergangenen etwa 50 Millionen Jahre.  Dazwischen immer wieder schwarze Flecken oder Streifen - Asche von Vulkanausbrüchen? 
  Natürlich ist die  Landschaft in den späten Nachmittagsstunden bei weichem Licht noch viel eindrücklicher.  Und so begaben wir uns auf dem View Point in Position und warteten mit vielen anderen  den Sonnenuntergang ab. Auch unser Nachtlager am Strassenrand, auf einem  staubigen Ausweichplatz, hatte eine traumhafte Aussicht auf eine rot-gelb-weiss-beige-gestreifte  Hügellandschaft. Hier sassen wir mit einem Bier in der Hand auf unseren gemütlichen  Stühlen und genossen die Stille. Und weil es so schön war, sassen wir immer  noch dort, als die Sterne schon lange am Himmel standen. 
Auf unserem weiteren  Weg Richtung Osten, Richtung Baker City, wurden wir ständig an das nahende  Mega-Ereignis erinnert, an die Totale Sonnenfinsternis (die Amerikaner nennen  sie - ganz patriotisch - Great American Eclipse): Gemähte Felder, auf denen die  mobilen Toiletten in Reih und Glied standen und sich die ersten Camper und  Souvenir- und Verpflegungsstände einrichteten, verschlafene Städtchen, in denen sich normalerweise  Coyote und Hase gute Nacht sagen, die sich jetzt aber für das grosse Ereignis herausgeputzt  hatten und in denen die Fliegenden Händler gerade ihre Stände aufstellten,  Schilder am Strassenrand, auf denen die letzten Zeltplätze zu horrenden Preisen  angeboten wurden und noch mehr Schilder, auf denen "Fully booked"  stand. Grundbesitzer, die nicht am Big Business teilnahmen, versperrten präventiv  ihre Zufahrtswege, "No Camping" und "No Parking"-Schilder  hatten Hochkonjunktur. 
  Sogar die  Nationalgarde war mittlerweile angerückt um sicherzustellen, dass niemand am  Strassenrand parkiert und dass eventuelle Evakuationsrouten frei bleiben. Aber  auch um bei Waldbränden zu helfen, die jederzeit und überall auftreten können  und die schon in den letzten Tagen vielerorts den Himmel verschleierten. 
Und wir hatten  grosse Mühe, überhaupt einen Platz zu finden, auf dem wir unseren Camper für  eine Nacht aufstellen konnten. Kurz vor John Day wollten wir auf einem  staatlichen Campingplatz übernachten, auf denen normalerweise "First  come, first serve" gilt. Aber auch hier war seit Monaten alles ausgebucht. Wir durften  schliesslich auf dem Feld vor dem Office stehen. Zwar direkt neben der Strasse,  aber immer noch besser als AUF der Strasse.  
  In Baker City  standen wir im mit Gerümpel vollgestellten Hinterhof eines Motels. Und die  beiden Nächte vor und nach dem grossen Ereignis campten wir auf der Einfahrt  eines Campingplatzes in Fruitland, Idaho - für 200 Dollar! 
Aber es hat sich  alles gelohnt. Uns fehlen die Worte um zu beschreiben, was wir erlebten. Wir  hatten die besten Bedingungen, klarer Himmel, mitten im Kernschatten und freie  Sicht. Etwa um Zehn Uhr am Vormittag setzten wir uns auf unsere Campingstühle  und harrten der Dinge, die da kommen. Mit uns Dutzende von Leuten auf diesem  Campground und Millionen von Leuten in ganz Amerika. Etwa eine halbe Stunde vor  der totalen Finsternis fielen die Temperaturen ein wenig und das Licht wurde  diffus. Dieses Licht ist schwer zu beschreiben, unwirklich, surreal, wie in  einem Traum. Es gleicht in keiner Art dem Licht bei Sonnenuntergang. Kurz vor  der Finsternis fielen die Temperaturen nochmal, die ersten Sterne tauchten am  Himmel auf und es wurde ruhig, total ruhig. Nicht nur die Vögel hörten auf zu  singen, auch die Menschen wurden still und andächtig. Und dann schob sich der  Mond genau vor die Sonne und plötzlich sah man die Korona. Vergesst jede  Fotografie der Korona, die ihr jemals gesehen habt, es ist ganz anders. Der  Himmel ist nicht völlig schwarz, sondern dunkelblau. Und in diesem Himmel hängt  nebst einigen Sternen ein funkelnder Ring aus Diamanten. Unmöglich, das in irgendeiner  Fotografie wiederzugeben. Einigen kamen die Tränen, so schön war es. Dann  erwachten alle aus ihrer Trance und fingen an zu applaudieren - wir sind ja  schliesslich in Amerika. Und ein paar Feuerwerksraketen wurden auch  abgeschossen. Der Traum ging leider nach knappen zwei Minuten zu Ende und kaum  wurde die Sonne nicht mehr zu hundert Prozent verdeckt, zeigte sie schon wieder  ihre ganze Kraft und man brauchte wieder die Spezialbrille, um ihren Weg aus  dem Schatten des Mondes heraus zu verfolgen. 
  Definitiv ein "Einmal  im Leben"-Erlebnis!! 
Da wir wegen der  Sonnenfinsternis ein paar Sehenswürdigkeiten überspringen mussten (und das  jetzt nachholen wollen), fuhren wir dann wieder nach Norden Richtung Baker City  und La Grande bis Pendleton. Die Strasse folgt ziemlich genau dem historischen  Oregon Trail, auf welchem vor rund hundertfünfzig Jahren die grösste,  freiwillige Völkerwanderung der Geschichte stattfand. Bis zu einer Million  Menschen machten sich damals auf, um im Westen ihr Glück oder einfach ein  besseres Leben zu finden. Einige lockte wohl das Gold, die meisten aber suchten  hier Weidegründe für ihr Vieh und Land um Ackerbau zu betreiben. Teile dieser  Route kann man an verschiedenen Orten besichtigen, so zum Beispiel im Oregon  Trail Visitors Park. Hier sieht man tatsächlich den tief in den Waldboden  eingegrabenen Weg, auf welchem die hölzernen Räder Abertausender Ochsenkarren  ihre Spuren hinterliessen. 
  In den grossen  Grasebenen Oregons wurden die Siedler nicht nur von Büffeln, sondern auch von  Indianern empfangen. Einige Mitglieder dreier verwandter Stämme leben heute in  einem Reservat nahe Pendleton und haben hier ein grosses Casino erstellt (das  einzige Hochhaus weit und breit und schon von weitem zu sehen). Hier, auf dem  Campground des Casinos werden wir die nächsten zwei Nächte verbringen. Nicht  wegen dem dazugehörenden Golfplatz, sondern wegen dem fast nebenan gelegenen  Tamastslikt Cultural Institute, scheinbar eines der besten Indianermuseen der  Welt. 
Anschliessend  werden wir bei immer noch höllischer Hitze weiter Richtung Osten, zum Hells  Canyon, dem tiefsten Canyon Nordamerikas fahren. 
Doch davon nächstes Mal. 
  
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    Tara  | 
    
 
  
  
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    Der Krater des Mount St. Helens  | 
    
 
  
  
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    Die Wucht des Ausbruchs legte ganze Wälder flach  | 
    
 
  
  
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    Es entstand aber auch Neues wie der Coldwater Lake  | 
    
 
  
  
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    Streifenhörnchen  | 
    
 
  
  
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    Windkraft in der Nähe des Columbia Rivers  | 
    
 
  
  
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    Auf dem "Journey Thru Time"-Highway  | 
    
 
  
  
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    Painted Hills im John Day Fossil Beds National Monument  | 
    
 
  
  
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    Painted Hills im John Day Fossil Beds National Monument  | 
    
 
  
  
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    Blue Basin im John Day Fossil Beds National Monument  | 
    
 
  
  
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    Rauch liegt in der Luft  | 
    
 
  
  
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    Warten auf die Sonnenfinsternis  | 
    
 
  
  
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    Wow  | 
    
 
  
  
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    Typischer Wohnwagenpark-Bewohner: ein paar Hunde, möglichst wenig laufen, möglichst viel Patriotismus  | 
    
 
  
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