Newsletter vom 30. September 2017: Geisterstädte in Montana, Schnee in den Rockies und Bayrische Gemütlichkeit in Leavenworth 
Unser letzter Newsletter endete mit der Zeile: "Oder  es regnet nun ein paar Tage lang kräftig, aber das wird laut Wetterbericht kaum  der Fall sein."  
So  kann man sich täuschen, respektive so kann sich der Wetterbericht täuschen.  Denn kaum hatten wir den Yellowstone verlassen, zogen Wolken auf und kurz  darauf schneite es und wir sassen vier Tage in einem Städtchen mitten in den  Rocky Mountains fest. Nach ein paar Tagen ging der Schnee in Regen über und  dieser begleitete uns nun (mit kurzen Pausen) seit fast drei Wochen. Und ein  Ende ist nicht in Sicht. Ein paar der Waldbrände wurden dadurch kleiner oder  sogar gelöscht (und die Luftqualität wurde definitiv besser), aber die Westroute  in den Glacier Nationalpark war nach wie vor gesperrt und die meisten Touristen  wurden sogar evakuiert. Diesen Nationalpark mussten wir für dieses Jahr also  vergessen. Und auch sonst einiges. Denn am Meer, also zum Beispiel im Olympic  Nationalpark in den wir eigentlich als Alternative wollten, regnet es nicht  nur, es ist auch kalt. So richtig ungemütlich halt. Der Goldene Herbst ist für  dieses Jahr wohl gestrichen.  
Aber  schön der Reihe nach.  
  Über den Westeingang verliessen wir den Yellowstone  und machten uns auf, Montana zu entdecken. Den ersten Stopp legten wir bei der  Madison Canyon Earthquake Area ein. Die Informationen zu diesem Unglück bekommt  man in einem Visitor Center, aber die Landschaft spricht auch für sich. An  einer Verwerfung kam es zu Spannungen, die sich in einem gewaltigen Erdbeben  entluden. Ein ganzer Berghang donnerte ins Tal, begrub Häuser, Hotels und einen  Campingplatz, riss die Strasse mit sich und staute einen Fluss, welcher sich  innert Stunden zu einem See entwickelte, dem heute noch bestehenden Quake Lake.  Dutzende Menschen, darunter ganze Familien kamen ums Leben, etwa zwanzig wurden  nie gefunden. Das alles passierte 1959 und langsam wächst wieder Wald an der  nackten Abrissstelle und bedeckt das Zeugnis dieser Katastrophe. Unwillkürlich  dachten wir an Bondo und Gondo in der Schweiz (obwohl da keine Erdbeben die  Auslöser waren). 
Montana nennt sich "The Big Sky Country",  das Land des grossen Himmels. Und ja, der Himmel ist tatsächlich weit über  Montana. Einmal campierten wir am Ruby River in einem breiten Tal, das wohl ein  riesiger Gletscher in der letzten Eiszeit geformt hat. Heute erstreckt sich  hier Prärie soweit das Auge reicht. Ein, zwei Bauernhöfe, ein paar Rehe und  Gabelböcke und eben - viel Himmel.  
  In der Gegend des Ruby River hat es unzählige  Geisterstädte, Relikte aus der Zeit des Goldrausches. Eine davon, Virginia City  ist aber ganz und gar nicht tot, sondern touristisch aufbereitet mit  Unterkünften, Läden und Restaurants. Aber auf eine unaufdringliche Art. Und der  grösste Teil des Städtchens ist tatsächlich ein Museum. Man kann die  Hauptstrasse entlang schlendern und in den General Store gehen, den Schneider  oder Barbier besuchen, sich im Lebensmittelladen umschauen oder im Post Office.  Alles original aus der Zeit des Goldrausches ab 1863. Gleich daneben liegt  Nevada City. Aus der gleichen Zeit, nur viel kleiner. Auch hier ist fast das  gesamte Dorf ein Museum. Wobei man im historischen Hotel übernachten könnte und  die alte Bäckerei während der Saison Gebäck und Brot verkauft. Nur war leider  die Saison vorbei und das ganze Dorf hatte dichtgemacht - bis nächstes Jahr im  Mai. 
Einen längeren Halt legten wir (gezwungenermassen)  in Butte ein. Als wir dort ankamen reichte es gerade noch für eine  Stadtrundfahrt, dann schlug das Wetter dramatisch um. Ein starker Sturm brachte  zuerst viel Regen und dann Schnee. Es wurde kalt, mindestens dreissig Grad  kälter als die Tage zuvor. Für die Luftqualität war das natürlich ein Segen.  Ein Einwohner Buttes sagte uns, dass sie vor ein paar Tagen wegen dem Rauch  kaum hundert Meter weit gesehen hätten... 
  Kupfer bestimmte das Geschick der Stadt Butte und  tut es immer noch. Die Stadtrundfahrt führte an einer der vielen Minen vorbei,  in der Kupfer in grossem Stil abgebaut wird. Ausserdem hätte es in Butte viele  interessante (und imposante) Gebäude aus der Zeit der grossen Kupferkönige.  Aber wir verzichteten auf Stadtspaziergänge, der nasskalte Schnee hielt uns im  Camper fest. Auch die Gänse fanden es an der Zeit, ihre Winterquartiere  aufzusuchen. Laut schnatternd zog Schwarm um Schwarm in charakteristischer  Formation dicht über uns hinweg auf dem Weg nach Süden. 
Nach vier Tagen Schnee und Regen machte das  schlechte Wetter eine kurze Verschnaufpause und wir nutzen diese beiden Tage  aus, einige Pässe der Rocky Mountains hinter uns zu bringen. Eigentlich wollten  wir in Missoula die Basis der Smokejumper besichtigen, aber das Besucherzentrum  mit Museum war bereits in der Winterpause. Smokejumpers sind Feuerwehrleute,  die mit dem Fallschirm über unzugänglichen Brandgebieten abspringen und dort  versuchen, die Brände zu bekämpfen. Meistens durch Gegenfeuer, da grössere  Ausrüstung so natürlich fehlt. 
  Überhaupt ist in den Rocky Mountains schon ziemlich  viel in der Winterpause, so auch die Campingplätze in den National Forrests.  Also übernachteten wir immer mal wieder auf dem Parkplatz eines Casinos oder  eines Einkaufszentrums. 
Als wir die letzte Bergkette der Rockys erreichten  - die Bitterroot Mountains - hatte der Regen schon wieder eingesetzt. Der  Highway führte mitten durch die tiefhängenden Wolken und die Berge  präsentierten sich düster und abweisend. Aber auch in der Ebene wurde es  wettermässig nicht besser. Coeur d'Alène - CDA, wie die Einheimischen sagen -  gehört scheinbar zu den zehn schönsten Kleinstädten Amerikas. Es liegt wirklich  schön an einem See und hätte vor allem jede Menge tolle Cafés und Brauereien.  Aber das Wetter war nicht wirklich spaziertauglich und so fuhren wir weiter  nach Spokane. Dort ereilte uns die nächste Front und hielt uns zwei Tage auf  einem hässlichen Campground in der noch hässlicheren Stadt fest. Es schüttete  und schüttete und schüttete, aber sowas von :-( 
  Spokane ist die einzig grössere Versorgungsstadt in  einem riesigen Umkreis, welcher bis weit nach Kanada reicht. So besteht sie auch  gefühlt fast nur aus Einkaufs- und Dienstleistungszentren, Tankstellen und  Werkstätten und ist wie gesagt sehr hässlich und sehr ärmlich.  
  Übrigens scheint im Staate Washington Marihuana  legalisiert zu sein. Es wird auf jeden Fall gross Reklame gemacht für die  Hanfläden, in denen es "Recreational and Medical Marihuana" (also  Haschisch zum Entspannen und Haschisch für medizinische Zwecke) zu kaufen gibt.  Und auch die alteingesessenen Alkohol-Läden haben fast alle noch ein  "Marihuana"-Schild unter das "Wine, Beer and Liquors"  gehängt. 
Die Ebene zwischen den Rocky Mountains im Osten und  den Cascade Mountains im Westen ist dank des gigantischen Columbia River mit  all seinen Nebenarmen sehr fruchtbar. Auch dank den vielen Stauseen die nebst  der Stromerzeugung ebenso der Bewässerung dienen. Die Ernte war bereits  eingefahren und wir konnten aufgrund der Dimensionen der Felder nur erahnen,  was für riesige Landmaschinen hier zum Einsatz kommen müssen. 
  Der grösste Staudamm in der Gegend (und in ganz  Amerika) ist der Grand Coulee. Die Menge Beton die hier verbaut wurde, würde  für einen vierspurigen Highway zwischen den Staaten Washington und Florida  ausreichen. Und allabendlich wird auf dem Wasserfall des Staudamms eine  Lasershow projiziert, die wir uns natürlich anschauten und wegen der wir diesen  kleinen Umweg überhaupt machten. 
Am nächsten Tag kamen wir nicht viel weiter - etwa  20 Meilen um genau zu sein. Denn kurz nach Coulee Dam sahen wir am anderen Ufer  des Bankes Lake ein paar Camper unter Bäumen stehen. Neugierig bogen wir ab um  den Campingplatz anzuschauen. Die Halbinsel gehört zum Steamboat Rock State  Park und der Campingplatz am Ufer zu den Schönsten, die wir bisher sahen.  Direkt am Wasser, unter grossen Bäumen, mit eigenem, kleinem Sandstrand und umringt  von einer dramatisch schönen Kulisse aus den roten, schroffen Wänden eine  Canyons. Viele Camper sind mit dem Boot dort und verbringen den Tag auf dem  Wasser (man darf auf dem See auch Wasserski fahren). Übrigens ist uns im Staate  Washington eine schöne Geste aufgefallen: Überall wo man Boote ins Wasser  lassen kann, hängen Schwimmwesten, die man sich gratis ausleihen kann. 
  Weil der Regen gerade Pause machte und weil es dort  so schön war, blieben wir spontan zwei Nächte. Eine Gruppe Mule Deers kam jeden  Abend auf den Platz um zu grasen. Man konnte sich ihnen bis auf ein paar Meter  nähern und so diese wunderschönen samtäugigen Wesen bewundern. Die Gruppe  bestand aus etwa einem Dutzend Weibchen mit ihren diesjährigen Jungen und  manchmal grasten sie auch rund ums Auto und man konnte ihnen vom Fenster aus  zusehen. Wunderschön! 
Via Wenatchee, welches sich Apple Capital of the World (die Apfelhauptstadt der Welt) nennt, erreichten wir Leavenworth -  Bayern in den USA. Unterwegs kehrten wir in der Bäckerei Anjou in  Cashmere ein und kauften das bislang allerbeste Brot  unserer gesamten Reise. Zum ersten Mal nach fünf Monaten wieder ein Brot mit  knuspriger Rinde und kompaktem Inneren. Ein Brot nicht aus Weissmehl und ohne  Käse oder Kümmel oder Kürbis und kein Sauerteig - einfach ein gutes Brot. Ihr  merkt, wir kommen ins Schwärmen und tatsächlich ist gutes Brot in den Staaten  immer noch eine Seltenheit. 
  In Leavenworth wird die bayrische,  enziangeschmückte Gemütlichkeit konsequent durchgezogen. Vom Safeway über den Mc  Donalds bis zur Fargo Bank, alle verzichten (müssen verzichten?) auf ihr  Corporate Identity und bemühen altdeutsche Schriften in geschnitzten Holzrahmen  um ihre Geschäfte anzupreisen. Jede Strasse ist englisch und deutsch  angeschrieben und auch der Hinweis auf den Parkplatz oder den Skilift ist  deutsch. Die Hotels heissen "Enzian Inn" oder "Bayrischer  Hof" und die Restaurants "Zum Adler", "Bärenhaus" ("Germany without passport") oder "Andreas Keller". In letzterem genossen wir ein  vorzügliches Schnitzel und selbst auf der Quittung stand auf deutsch  "Besten Dank" - man zieht es durch, in Leavenworth! 
Auf dem Highway Nummer Zwei fuhren wir durch die  Bergwelt der Cascades, über den Stevens Pass (einem Skigebiet), vorbei an hohen  Wasserfällen und durch tiefe Canyons. Da sich auch noch die Büsche und Bäume  langsam rot färben, gäbe es dort wunderschöne Fotomotive zuhauf. Leider war es  zur Abwechslung wieder mal stark bewölkt und regnerisch. 
  Also fuhren wir ohne gross anzuhalten durch bis  Everett und dort direkt zu Boeing. Das Boeing-Flugzeugwerk ist schlichtweg  gigantisch. Wir könnten jetzt eine ellenlange Liste mit Zahlen liefern (Fläche,  Anzahl Flugzeuge pro Monat, Preise, Anzahl Teile pro Flugzeug und so weiter),  alles sehr beeindruckend. Aber am Beeindruckendsten ist sicher die schiere  Grösse der Montagehalle - die grösste Halle der Welt! Leider darf man auf die  rund anderthalbstündige Führung absolut keine Gadgets wie Kamera, Handy, iPad  (auch kein Fernglas und natürlich kein Sackmesser) etc. mitnehmen, deshalb konnten  wir auch nichts fotografieren. Aber vielleicht war das gut so, denn so konnten  wir uns wirklich auf das konzentrieren, was wir da sahen - Technik und  Ingenieurskunst die nur noch staunen lässt. 
In Everett konnten wir wiedermal den Wetterbericht  konsultieren. Dieser versprach zwei schöne Tage, bevor die nächste Kaltfront  wieder Regen bringen sollte. Also machte die Fahrt auf die Olympic Halbinsel  immer noch keinen Sinn. Wir wollten diese zwei Tage so richtig ausnützen und  auf keinen Fall mit Fahren verbringen und so nahmen wir die Fähre vom nahen  Mukilteo nach Clinton auf Whidbey Island. Whidbey gehört zu den San Juan Inseln  (es sollen etwa 500 Inseln sein) im Puget Sound.  
  Unsere Rechnung ging auf und wir verbrachten die  letzten zwei Tage bei strahlendem Sonnenschein und angenehmen Temperaturen auf  Whidbey. Es hat hübsche Städtchen (wie zum Beispiel Langley mit dem  vorzüglichen "Prima Bistro"), privilegierte Wohnlagen für die  gestressten Städter aus den grossen Städten Seattle und Vancouver vom nahen  Festland, lauschige Campingplätze in den grossen Wäldern der State Parks und  natürlich jede Menge Häfen. Im Hafen von Anacortes kann man übrigens auf dem  Parkplatz campieren und die Infrastruktur des Hafens wie Duschen, Waschküche  und WiFi benutzen. 
  Auch Anacortes ist ein hübsches Städtchen und wir  genossen vor allem die Tatsache, der kulinarischen Hamburger-Wüste des Inlandes  entkommen zu sein und wieder Speisekarten zu finden, die uns gluschtig machen  und die ihr Versprechen auch einhalten. 
  Und nun sind wir in einer Ecke im Staate Washington,  die sich auch dem guten Essen verschrieben hat - die kleinen Städtchen Bow und  Edison. Die Strasse nach Bow heisst "Farm to Table Road", was ja  schon bezeichnend ist. Auf jeden Fall fanden wir dort einen Brothimmel (die  Bread-Farm) sowie ein paar Hofläden wie z.B. eine Molkerei und eine Käserei mit  wunderbarem Gouda und Feta, alles von den Kühen auf der danebenliegenden Weide.  Und alles Bio :-) Die Zivilisation hat uns wieder! 
In diesem Moment sind wir wiedermal daran, ein paar  Regentage auszusitzen (deshalb haben wir auch Zeit für einen Newsletter). Ab  Montag soll es wieder schöner werden - wohin uns der Wind dann treibt, wissen  wir noch nicht. 
 
  PS Noch was zu den Essgewohnheiten der Amis: 
  Amerikaner essen mit nur einer Hand, entweder mit  der Gabel oder mit dem Löffel (wer mit Messer und Gabel isst, enttarnt sich als  Ausländer!). Wenn es ein Stück Fleisch oder Fisch gibt, dann wird das zuerst  kleingeschnitten und dann wird das Messer weggelegt. Das Essen wird also stets  aufgespiesst und nicht mithilfe des Messers auf die Gabel geschoben. 
PPS Auch ein Restaurantbesuch läuft anders ab als  bei uns: 
  Sobald man den letzten Bissen in den Mund gesteckt  hat, wird der Teller abgeräumt und die Rechnung auf den Tisch gelegt. Es ist  also absolut unüblich, nach dem Essen noch etwas sitzen zu bleiben und zu  plaudern. Überhaupt geht man sehr zielgerichtet ins Café oder Restaurant um zu  essen und nicht um einfach die Zeit totzuschlagen. 
PPPS "Nicht ohne meinen Kaffee": 
  Die gefühlte Hälfte der Amis läuft ständig mit  einem Getränkebecher in der Hand herum. Darin befindet sich entweder süsse  Limonade oder Kaffee. Damit man nicht auf Coffein-Entzug kommt, steht an jeder  zweiten Strassenecke ein Espresso-Drive-In, ein Mini-Holzhäuschen wo man den  Kaffeebecher zum Autofenster reingereicht bekommt. 
  
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    Campen unter dem Big Sky Montanas  | 
    
 
  
  
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    Farm im Tal des Ruby Rivers  | 
    
 
  
  
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    Wetterwechsel  | 
    
 
  
  
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    In der Geisterstadt Virginia City  | 
    
 
  
  
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    Es schneielet, es beielet...  | 
    
 
  
  
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    Wetterprognose an der Tanksäule  | 
    
 
  
  
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    Da hilft nur noch dick einpacken  | 
    
 
  
  
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    Campground am Steamboat Rock  | 
    
 
  
  
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    Den Platz teilen wir uns mit vielen Mule Deers  | 
    
 
  
  
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    Bayern in den USA: Leavenworth  | 
    
 
  
  
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    Inklusive Bretzeln  | 
    
 
  
  
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    In den Boeing-Flugzeugwerken  | 
    
 
  
  
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    Abendstimmung auf Whidbey Island  | 
    
 
  
  
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    Im Hafen von Anacortes  | 
    
 
  
  
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    Später Fischer  | 
    
 
  
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